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Das Verfahren
von Mumia Abu-Jamal

von Mumia Abu-Jamals Anwalt Leonard I. Weinglass
(Stand: 1995)


In einem der außergewöhnlichsten Prozesse der letzten Jahre wurde im Juni 1982 einer der bekanntesten schwarzen Radiojournalisten Philadelphias, Mumia Abu-Jamal, auch "die Stimme der Stimmlosen" genannt, des Mordes an einem weißen Polizisten angeklagt und zum Tode verurteilt. Der Prozeß fand vor Richter Albert Sabo statt, einem Richter, der mehr Menschen zum Tode verurteilt hat als jeder andere in den USA. Vor seinem Aufstieg zum Richter diente er in Philadelphia sechzehn Jahre lang als Hilfssheriff.

Nicht weniger berüchtigt war der hartgesottene und erfahrene Ankläger, der bereits zuvor die Verurteilung eines Unschuldigen wegen Mordes erwirken konnte. Erst nachdem der Angeklagte zwölf Jahre Haft für eine Straftat, die er nicht beging, verbüßt hatte, konnte seine Freilassung bei Gericht erwirkt werden. Dies geschah aufgrund neuer Beweise, die an seiner Schuld zweifeln ließen, und nach einer Neuuntersuchung der Beweise und Zeugenaussagen im vorangegangenen Strafverfahren.

Der einzige unerfahrene Teilnehmer an Mumias Verfahren war dessen Pflichtverteidiger, der gegen seinen eigenen Wunsch und ohne angemessene Vorbereitung in die Rolle des hauptverantwortlichen Verteidigers gezwungen wurde. Denn mitten im Verfahren zur Auswahl der Geschworenen für die Jury wurde Mumia das Recht, sich selbst zu verteidigen, genommen. Der Anwalt versuchte mehrmals während der Vorverhandlungen, von seiner Pflicht als Mumias Verteidiger entbunden zu werden.

Ungeachtet von Kompetenz und Überzeugung wäre es keinem Wahlverteidiger gelungen, Mumia angemessen zu verteidigen, da das Gericht nur $150 Vorschuß zur Finanzierung der Verteidigung bewilligte, trotz der Tatsache, daß die Ermittlungsbeamten über 125 Zeugen verhörten. Die Verteidigung konnte bis zum Prozeßbeginn nur zwei Zeugen ausfindig machen, obwohl bekannt war, daß es viel mehr Zeugen gab. In allerletzer Sekunde versuchte Mumias Anwalt, während die Geschworenen im Gerichtssaal saßen und warteten, verzweifelt telefonisch vom Büro des Richter aus, eine Schlüssel(augen)zeugin davon zu überzeugen, doch noch vor Gericht auszusagen - erfolglos. Während der Staatsanwalt Ballistik- und Pathologieexperten in den Zeugenstand rief, war dies der Verteidigung durch die lächerliche Summe, die ihr das Gericht für ihre Arbeit bewilligte, unmöglich.

Am dritten Tag des Auwahlverfahrens der Geschworenen schloß das Gericht Mumia von der weiteren Befragung künftiger Geschworener aus. Widerwillig und offensichtlich unvorbereitet wurde sein Pflichtverteidiger gezwungen weiterzumachen. Da siebenundsiebzig der ersten achtzig Geschworenen schon von dem Fall gehört oder gelesen hatten, war eine genauere Befragung erforderlich, um herausfinden, ob sie dem Prozeß noch neutral würden beiwohnen können. Das Gericht wurde durch diesen langwierigen Prozeß ungeduldig und behauptete nun, daß die Geschworenen von Mumias Fragen eingeschüchtert werden würden. Einige Prozeßbeobachter waren hingegen der Meinung, daß die Ungeduld des Gerichts eher darauf zurückzuführen war, daß Mumia durch seine professionelle Haltung als ausgebildeter Radiojournalist einen zu guten Eindruck auf die Geschworenen machte.

Unter dem Druck des Gerichts, den Auswahlprozeß zu beschleunigen - z.B. durch eine Strafandrohung gegen Mumias Anwalt wegen Gerichtsbeleidigung - wurde u.a. ein Geschworener ausgewählt, dessen bester Freund ein ehemaliger Polizist aus Philadelphia war, der nach einer im Dienst erlittenen Schußverletzung seinen Beruf aufgeben mußte. Desweiteren eine Geschworene, deren Ehemann Polizist in Philadelphia war. Unerklärlicherweise legte der Pflichtverteidiger nicht nur keinen Einspruch gegen die eindeutig rassistisch motivierte Ablehnung von elf von fünfzehn Afroamerikaner als Geschworene ein, er merkte diese nicht einmal an. Vielmehr stimmte der Verteidiger sogar während Mumias Abwesenheit der Entscheidung des Richters zu, eine schon angenommene afroamerikanische Geschworene durch einen älteren weißen Mann zu ersetzen. Und das, obwohl dieser Mann von sich selbst sagte, er sei sich nicht sicher, ob er "zu beiden Parteien fair" sein könne.

Die Anklage trug Ihre Sicht des Falles in weniger als sieben Tagen vor. Mumia war die meiste Zeit nicht anwesend. Weil er auf sein Recht auf Selbstverteidigung, sowie auf die Zulassung von John Africa als Berater bestand, wurde er von der Verhandlung ausgeschlossen. Sein Leben in Gefahr sehend, argumentierte er, daß er von einem Anwalt verteidigt wird, der nicht nur unqualifiziert, sondern auch nicht willens sei, ihn zu verteidigen. Es wurde nichts unternommen, Mumia zu ermöglichen, die Verhandlung zu verfolgen, weder durch Funkübertragung in seine Zelle, noch durch Aushändigung einer Abschrift. Dies war nicht nur eine Abweichung von der gängigen Praxis, sondern auch deswegen besonders nachteilig, da Mumia und nicht sein Anwalt den Prozeß vorbereitet hatte. Ohne Mumias Anwesenheit und seine Unterstützung konnte sein Anwalt nur halbherzig versuchen, die Zeugen der Staatsanwaltschaft zu verhören.

Es ist unbestritten, daß ein Polizist am 9. Dezember 1981 um 4 Uhr morgens erschossen wurde, nachdem er das Auto von Mumias Bruder angehalten hatte. Ebenfalls unbestritten ist, daß Mumia am Tatort eintraf, nachdem der Polizist Mumias Bruder mit einer Taschenlampe geschlagen hatte. Derselbe Polizist schoß wahrscheinlich Mumia an, denn die Kugel aus Mumias Körper paßte zu der Pistole des Polizisten. Nach einer Notoperation war Mumias Zustand längere Zeit kritisch. Nichtsdestotrotz wurde der Fall innerhalb von sechs Monaten ohne Aufschub dem Gericht zur Verhandlung vorgelegt. Nachdem Mumia bekannt gab, sich selber verteidigen zu wollen, gewährte ihm das Gericht nur drei Wochen, um seine Verteidigung vorzubereiten.

Die Anklage basierte primär auf den Aussagen von vier Augenzeugen, die behaupteten, entweder am Tatort oder in dessen Nähe gewesen zu sein. Das Gericht lehnte alle Gesuche ab, Mumia in einer Gegenüberstellung identifizieren zu lassen, statt im Gerichtssaal oder anhand von Photographien. Die Hauptbelastungszeugin war eine Prostituierte, die mehr als fünfunddreißig Mal verhaftet wurde und gerade eine Haftstrafe in Massachusetts verbüßte. Sie sagte aus, daß Mumia von hinten auf den Polizisten zulief und zunächst einmal auf ihn schoß, um dann, nachdem dieser zu Boden fiel, noch einmal zu schießen. Zuvor machte sie mehrere widersprüchliche Aussagen, die zumeist im Widerspruch zu den Aussagen der anderen drei Augenzeugen standen. Eine andere Prostituierte, die an dem Abend in der gleichen Gegend arbeitete, sagte aus, daß ihr das gleiche Angebot unterbeitet wurde wie der Hauptbelastungszeugin: Immunität vor Verhaftung durch die Polizei als Gegenleistung für ihre Aussage gegen Mumia.

Von den anderen drei männlichen Augenzeugen sagten zwei aus, daß sie beobachteten, wie Mumia zum Tatort lief, wo der Polizist seinen Bruder schlug. Auch berichteten beide, daß ein Schuß abgeben wurde, kurz nachdem Mumia am Tatort eintraf, aber keiner von ihnen sah, ob Mumia auf den Polizisten schoß. Der dritte Augenzeuge, ein Taxifahrer, der hinter dem Polizeiauto anhielt, war am nächsten zum Tatort. Er sagte im Polizeiverhör aus, daß der Täter vom Tatort in Richtung einer etwa dreißig Meter entfernte Gasse flüchtete, bevor Polizeiverstärkung eintraf. Es handelte sich um einen über 1,88m großen und mehr als 100 kg schweren Mann - Mumia ist 1,85m groß und wiegt knapp 77 kg. Während der Verhandlung bestritt dieser Augenzeuge dann allerdings, daß der Täter weglief, und behauptete nun, daß der Täter einige Schritte ging und sich dann auf den Boden an der Stelle hinsetzte, wo die Polizei Mumia zusammengesackt und stark blutend vorfand. Der Richter verschwieg den Geschworenen, daß dieser Zeuge gegen Bezahlung einen Brandsatz in eine Schule geworfen hatte, und zur fraglichen Zeit auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen war. Möglicherweise änderte er seine Aussagen, um einen guten Eindruck beim Staatsanwalt zu hinterlasssen oder sogar aus Angst. Eine andere Augenzeugin, die in der Tatgegend wohnte, gab allerdings ebenfalls zu Protokoll, daß sie einen Mann vom Tatort in der gleichen Richtung flüchten sah. Dies war jene Zeugin, die der Verteidiger in seinem Telefonat aus dem Büro des Richters nicht überzeugen konnte auszusagen. Eine dritte Zeugin, eine Prostituierte, berichtete der Polizei, daß sie ein oder zwei Männer vom Tatort weglaufen sah, nahm aber nach längerem Polizeiverhör ihre Aussage zurück. Zusammengefaßt: Vier Zeugen an vier verschiedenen Standorten, die sich weder gegenseitig noch Mumia kannten, sagten aus, daß sie den Schützen weglaufen sahen, und zwar in ein und derselben Richtung. Es ist schlicht unmöglich, daß alle vier dasselbe halluzinierten. Trotzdem wurde nichts unternommen, um den Flüchtigen ausfindig zu machen oder zu identifizieren.

Die Theorie der Staatsanwaltschaft lautete, daß Mumia zunächst den Polizisten anschoß und leicht verletzte. Als der Beamte das Feuer erwiderte und ihn traf, beugte sich Mumia über den Polizisten, der mittlerweile zu Boden gefallen war, und schoß ihm tödlich ins Gesicht. Aber keiner der Zeugen sah einen solchen Hergang. Nicht einer der Zeugen sah, wie Mumia angeschossen wurde. Die Theorie wurde aus der einfachen Tatsache konstruiert, daß die Polizei Mumia und den Polizisten, beide angeschossen, einige Meter auseinander auf dem Boden liegend, vorfand. Obwohl Mumias Waffe am Tatort gefunden wurde (er hatte einen Waffenschein, da er in seiner Tätigkeit als Taxifahrer ausgeraubt wurde), behauptete der von der Staatsanwaltschaft bestellte Sachverständige, es ließe sich wegen des fragmentierten Zustands der aus dem Körper des Polizisten entnommenen Kugel nicht feststellen, ob sie von Mumias Waffe stamme.

Um ihre auf wackligen Füßen stehende Theorie, die von den unglaubhaften Anklagezeugen nicht bestätigt wurde, mehr Gewicht zu verleihen, präsentierte die Staatsanwaltschaft eine Wächterin, die in dem Krankenhaus arbeitete, in dem Mumia behandelt wurde. Sie sagte aus, daß Mumia, ein erfahrener Journalist, der über Dutzende von Gerichtsverhandlungen berichtet hatte, offen zugegeben hätte, daß er den Polizist angeschossen und mit den Worten: "Ich hoffe der Hurensohn stirbt", diesem Nachdruck verliehen hätte. Allerdings schrieb der Beamte, der Mumia verhaftete und von da an ständig bei ihm war, in seinem Bericht, daß Mumia während dieser Zeit nicht ein Wort gesprochen hätte. Seine Aussagen, wie die der verschwundenen Augenzeugen, wurden während der Verhandlung nicht vorgelegt. Der Beamte befand sich "in Urlaub", obwohl er sich der Verteidigung hätte zur Verfügung halten sollen, um auszusagen. Ein Antrag der Verteidigung, die Verhandlung zu unterbrechen, bis der Polizist zurückkehrt, wurde abgelehnt.

Da die Verteidigung nicht in der Lage war, die Entlastungszeugen zu präsentieren, die erforderlich gewesen wären, um die Beweise der Staatsanwaltschaft zu widerlegen, verließ sie sich auf die Aussagen von sechzehn Charakterzeugen. Alle bestätigten, daß Mumia unmöglich eine solche Tat hätte begehen können, da er sowohl beruflich wie auch privat als ein freundlicher und anständiger Mensch bekannt war. Als Sonia Sanchez, die bekannte Schriftstellerin und Dichterin, den Zeugenstand betrat, wurde sie vom Staatsanwalt trotz Einspruch der Verteidigung in einer befangenen und unzulässigen Art und Weise befragt. So z.B. zu der unerheblichen Tatsache, daß sie das Vorwort zu Assata Shakurs (Joanne Chesimards) Buch "Assata Spricht" schrieb. Oder zu ihrer Verurteilung wegen Mordes an zwei Polizisten in New Jersey, und weiter, ob sie drei Männer aus New York, die wegen Polizistenmordes verurteilt wurden, auch politisch unterstütze. Der Staatsanwalt deutete also an, daß es bei Sanchez Gewohnheit sei, Polizistenmörder zu unterstützten, und folgerte, daß somit auch Mumia einer sein müßte. Indem er dies tat, überschritt der Staatsanwalt nicht nur rechtsstaatliche Grenzen, er bereitete hiermit auch die Grundlage für einen späteren umfassenden Angriff auf Mumias politische überzeugung vor.

Zur Mittagszeit des Tages vor dem 4. Juli, dem Nationalfeiertag, zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Die vergangenen drei Wochen verbrachten sie in einem Hotel, fern von der Öffentlichkeit und ihren Familien. Es war daher keine Überraschung, daß sie eine Entscheidung trafen, noch bevor der Tag vergangen war: des Mordes schuldig. Dennoch waren sie nicht in der Lage dies zu tun, ohne vorher zu bitten, daß sie nochmals über die Gesetze zu verminderter Schuldfähigkeit und Totschlag belehrt werden. Offensichtlich hatten einige der Geschworenen Problemen mit der Tatsache, daß auch wenn sie der Theorie der Staatsanwaltschaft zustimmten, die Tatbestandsmerkmale eines vorsätzlichen Mordes fehlten. Insbesondere aufgrund der Tatsache, daß der Beamte von einem bereits angeschossenen Mumia tödlich getroffen worden sein müßte und der ganze Vorfall daher als Ergebnis einer nicht vorsätzlichen Reaktion zu werten wäre. Da die Geschworenen bereits über die Entscheidung zwischen Totschlag oder Mord mit verminderten Schuldfähigkeit keine Einigung erzielen konnte, war nicht zu erwarten, daß die gleichen Geschworenen ein Todesurteil aussprechen würden.

Der Schlüssel zum Verständnis, warum sie dies dennoch taten, liegt in den Geschehnissen der sogenannten Verurteilungsphase. Hier legten beide Seiten Ihre Position dar, ob lebenslange Haft oder die Todesstrafe verhängt werden solle. Offen Mumias verfassungsmäßige Rechte verletzend, präsentierte die Staatsanwaltschaft in dieser Phase Informationen zu Mumias damals zwölf Jahre zurückliegender Vergangenheit als Mitglied der Black Panther Party. U.a. präsentierte der Staatsanwalt ein Zeitungsinterviews, welches Mumia gab, als er gerade sechzehn Jahre alt war. Zweifellos sitzt Mumia sitzt wegen seiner politischen Überzeugung und Mitgliedschaft in der Black Panther Party im Todestrakt. Das Protokoll des weiteren Ablaufs des Verfahrens liest sich wie ein groteskes Kapitel aus der Zeit der Inquisition.

Mumia erhob sich, um den Geschworenen eine abschließende Stellungnahme vorzulesen; ein uraltes Anrecht auf Ansprache, das allen Verurteilten vor der Urteilsverkündung zusteht. Er wurde hierzu nicht als Zeuge vereidigt, und er trat auch nicht in den Zeugenstand. In seiner Stellungnahme beteuerte er seine Unschuld und legte eindrucksvoll dar, warum sein Prozeß unfair war. Verblüfft über die offene Kritik an seiner Verhandlungsführung, entschied der Richter, daß Mumia sich soeben selber zum Zeugen erklärt habe, und daher nunmehr vor den Geschworenen verhört werden dürfe. Der Staatsanwalt nahm diese Gelegenheit nur zu gern wahr.

So wurde Mumia gefragt, warum er grundsätzlich nicht aufstand, wenn der Richter den Gerichtssaal betritt. Diese unerhebliche und befangene Befragung wurde gefolgt von schnell aneinander gereihten Fragen: Warum Mumia die Gerichtsentscheidungen nicht ohne Widerspruch akzeptiere, warum er einen Berufungsrichter anbrüllte, der ihm das Recht auf Selbstverteidigung entzogen hatte, und warum er während der Vorverhandlungen feindselige Wortwechsel mit dem Gericht geführt habe. Statt eine Antwort abzuwarten, verlas der Staatsanwalt jenen damals zwölf Jahre zurückliegenden alten Zeitungsartikel zur Black Panther Party, der unter anderem ein Interview mit dem sechszehnjährigen Mumia enthielt. Mit kontinuierlich hysterischer werdender Stimme wollte der Staatsanwalt wissen, ob Mumia je sagte, daß "politische Macht aus dem Laufe einer Waffe wächst". Mumia antwortete ruhig, daß das Zitat nicht von ihm stamme, sondern es sich vielmehr um einen sehr bekannten Spruch von Mao Tse-Tung handele. Ohne innezuhalten, fragte der Staatsanwalt weiter, ob Mumia sich erinnern könne, im selben Interview "Alle Macht dem Volke" gesagt zu haben. Auch dieses Zitat bestätigte Mumia, verlangte aber, den Artikel zunächst lesen zu dürfen, um darin enthaltene Aussagen in ihren Kontext setzen zu können. Der Artikel, der vorher vom Gericht nicht als Beweis zugelassen wurde, weil er einer objektiven Verhandlungsführung abträglich wäre, enthielt Anmerkungen zur Black Panther Party, zum Frühstücksprogramm und zur ständigen Auseinandersetzung der Black Panther Party mit der Polizei in Philadelphia.

Indem er nun den überwiegend weißen Geschworenen Mumia als einen radikalen schwarzen Militanten porträtiert hatte, erklärte der Staatsanwalt schließlich, daß es Mumias politische Vergangenheit und seine Systemopposition waren, die ihn veranlaßten, den Polizisten zu töten. Die Geschworenen entschieden also auf schuldig, nachdem ihre Aufmerksamkeit auf die Zitate eines Sechzehnjährigen gelenkt wurde. Die Tatsache, daß Mumia in der Zwischenzeit ein erwachsener Mann ohne Strafregister geworden war, eine Familie hatte, und ein respektierter und angesehener Mann in der Gesellschaft war, fiel gänzlich unter den Tisch.

Das anschließende Berufungsverfahren war ebenfalls irregulär. Zunächst verging ein Jahr, bis Richter Sabo die Todesstrafe formal aussprach. Mumias zunächst für die Berufung zugewiesener Anwalt tat ein weiteres Jahr lang nichts und wurde dann vom Berufungsgericht von seiner Pflicht entbunden. Der nächste Anwalt brauchte wieder ein Jahr, um sich in den Fall einzuarbeiten und die notwendige Anträge zu stellen - u.a. eine eidesstattliche Erklärung des Anwalts aus dem Hauptverfahren über die Anzahl der Afroamerikaner, die als Geschworene abgelehnt wurden. Diese Erklärung ließ das Berufungsgericht allerdings mit der Begründung, daß die Erinnerung des Anwalts aufgrund der langen vergangenen Zeit verblaßt sein müsse, nicht zu. Die Berufung wurde abgelehnt. Nur vier der Richter des Berufungsgerichts, die vorgeschriebene Mindestzahl, unterschrieben dieses Urteil. Einer der vier, Richter McDermott, hätte sich jedoch für befangen erklären müssen, weil er zu einem früheren Zeitpunkt in einer direkten und persönlichen Gerichtsverhandlung mit Mumia verwickelt war - er tat es allerdings nicht. Aus ungeklärten Gründen zog sich Oberrichter Nix, ein Afroamerikaner, wie auch Richter Larson aus dem Vorstand des Berufungsgerichts zurück. Larson wurde vom Oberrichter vorgeworfen, rassistischer Überzeugung zu sein und wurde später wegen einen geringfügigen Drogendelikt angeklagt und verurteilt, worauf seine Amtsenthebung folgte.

Die Urteilsbegründung, ein fünfzehnseitiges, von Schmähungen durchsetztes Dokument, möglicherweise das Ergebnis der Auseinandersetzung McDermotts mit Mumia, wies alle Vorwürfe wegen Verfahrensfehlern und der Verletzung verfassungsmäßiger Rechte zurück. Gebilligt wurde hingegen die rassistischen Anwürfe gegen Mumia durch den Staatsanwalt, der Entzug des Selbstverteidigungsrechts, Mumias teilweiser Ausschluß vom Verfahren und die unzulässigen Kreuzverhöre von Sonia Sanchez und Mumia. Besonders bemerkenswert ist die ausgebliebene Kritik an der Aussage des Staatsanwalts, daß Mumia "Berufung über Berufung einlegen wird, daß es vielleicht eine Urteilsaufhebung geben könnte oder sonst irgendwas, so das [die Entscheidung der Geschworenen] nicht endgültig ist". Genau dieser Versuch, die Notwendigkeit für die Geschworenen, sich mit der Endgültigkeit ihrer Entscheidung zu befassen, zu verneinen, wurde 1985 vom obersten Gericht der USA eindeutig als unzulässig zurückgewiesen. Schon vorher hatte das oberste Gericht Pennsylvanias eine Verurteilung, die ironischerweise auf einem diesen unzulässigen Manipulationsversuch ebenfalls enthaltenden Plädoyer desselben Staatsanwalts basierte, aufgehoben. Jedoch ignorierte das Gericht die beiden Präzedenzfälle und bestätigte Mumias Todesurteil.

Am obersten Gericht der USA erging es Mumia nicht besser, es nahm seine Berufung gar nicht erst an. Im selben Jahr allerdings nahm es den Fall eines Mitglieds der Arischen Bruderschaft (einer weißen rassistischen Organisation) an, das behauptete, daß der Staatsanwalt während der Verurteilungsphase seine politische Zugehörigkeit in unzulässiger Weise gegen ihn benutzt hatte. Mit der Begründung, daß das Erste Zusatzgesetz zur Verfassung solches Vorgehen verbietet, hob das Gericht das Todesurteil auf (Dawson vs. Delaware, 503 U.S. 159 (1992)). Mumias Antrag, dies bei seiner Berufung zu berücksichtigen, wurde kommentarlos abgelehnt.

Zur Zeit, mehr als zwölf Jahren nach seiner Verurteilung, kämpft Mumia vor den bundesstaatlichen Gerichten Pennsylvanias um ein neues Verfahren. Bei einer Ablehnung plant er, einen Antrag auf habeas corpus (Aufhebung der bundesstaatlichen Zuständigkeit und Verlegung der Zuständigkeit auf Bundesebene) beim Bundesgericht zu stellen. Die Möglichkeiten hierfür wurden jedoch vom Obersten Gericht der USA in der jüngeren Vergangenheit stark eingeschränkt, die Hoffnung auf einen habeas corpus Akt somit stark geschmälert. Zum ersten Mal wird nun Mumias Fall untersucht. Beweise, die seine Unschuld untermauern, sind vorhanden. Seinen Fall ein Jahrzehnt nach dem Vorfall zu untersuchen, erweist sich jedoch als schwierig und teuer.

Zum Zeitpunkt dieser Niederschrift hat der Gouverneur von Pennsylvania den Hinrichtungsbefehl noch nicht unterzeichnet. Aber da der Republikaner Thomas Ridge im November Wahlkampf hat und dieser seinem Wahlkampf zum Teil darauf aufbaute, für eine Beschleunigung von Hinrichtungen eintreten zu wollen, besteht die akute Gefahr der Festsetzung eines Hinrichtungstermin für das Frühjahr 1995. Mumias Name steht ganz weit oben auf der Liste der Todeskandidaten, so daß es ein Rennen gegen die Zeit ist, wenn das Leben eines Unschuldigen und einer vernehmlichen "Stimme der Stimmlosen" gerettet werden soll. Mit den Worten Ossie Davis', des Vizevorsitzenden des Komitees zur Rettung Mumia Abu-Jamals: "Wir brauchen Mumia unbedingt. In Zeiten wie diesen können wir es uns nicht leisten, daß sie uns eine solche Stimme wegnehmen, ohne daß wir dagegen unerbittlich kämpfen."

Aus: "Live From Death Row" (Text von Leonard Weinglass zu Mumias Verfahren)

 

Siehe auch das Update von Len Weinglass und
unsere Updates vom 11. November 1999
und 22. November 1999 unter news!

 

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